„Ein Platz zum Wohlfühlen“

Bruchhausen-Vilsen - Dass der August in diesem Jahr fünf Sonntage hat, beschert vielen Schaustellern eine Woche Pause im eng gefassten Reiseplan und heute einen freien Sonntag. „Wir unternehmen etwas mit unserem Sohn“, hat sich Familie Hansla vorgenommen.
Sie gehört mit ihrer Geisterbahn zu den Stamm-beschickern des Brokser Heiratsmarktes. Wie viele der insgesamt 520 Kollegen haben Hanslas ihr Geschäft bereits jetzt, eine knappe Woche vor Marktbeginn und damit deutlich früher als gewohnt aufgebaut.
„Wir erledigen größere Reparaturen, arbeiten Post auf und fahren auch mal auf den Betriebshof bei Oldenburg“, erzählen Melanie und Harry Hansler über die ungewöhnlich lange Pause zwischen zwei Märkten. Bei durchschnittlich etwa 120 Geschäftstagen pro Jahr ist in dieser Branche jeder Veranstaltungstag wichtig. Und doch nehmen zahlreiche Aussteller den kalendarisch bedingten „Auswahl“ gelassen, gönnen sich in dem sonst hektischen Alltag zwischen Aufbau, Marktbetrieb, Abbau und Weiterfahrt zum nächsten Termin eine Pause. Dass diese Pause auf Bruchhausen-Vilsen fällt, kommt bei den Schaustellern gut an. „Hier ist es so schön ruhig“, sagt Albert Dormeier über das Gelände mit seinen Lindenalleen, abseits des kleinstädtischen Geschehens.
Er war in diesem Jahr der erste, der den Marktplatz bezogen hat. Sein „Rock Express“, seit Jahrzehnten in Broksen eine feste Größe unter den Fahrgeschäften, steht bereits fahrbereit am Denkmal und präsentiert sich dort in all seiner bunten Pracht. „Erst haben wir einiges repariert, jetzt ist das Personal im Urlaub“, macht der gebürtige Ochtmannier das Beste aus dieser ungewöhnlich langen Arbeitspause.
Von März bis Ende November ist der Rock Express im Einsatz, für andere Schausteller gehören die Weihnachtsmärkte noch mit zur Saison, die keine Zeit für Urlaub lässt. Steht das Fahrgeschäft still oder ist die Bude geschlossen, gibt es auch keine Einnahmen. Daher ist der Reiseplan eng gestrickt.
„Ich genieße es, jetzt mal alles mit etwas mehr Ruhe anzugehen“, erzählt Bianca Perl, die mit ihrem Mann Willi mit einem Crêpes-Stand seit vielen Jahren schon am Bahnhof „Marktplatz“ bei den Gewerbezelten steht. Sie nimmt sich Zeit, den Schriftverkehr zu erledigen – die Bewerbungen für Veranstaltungen im Jahr 2011 müssen raus –, nimmt sich Zeit für den Haushalt, einen 13mal vier Meter großen Wohnwagen amerikanischer Bauart. Und doch gibt es in diesem vermeintlichen Urlaub im schönen Luftkurort einiges zu tun. Das Auto, zugleich Zugmaschine, ist kaputt, Ersatz muss her. „Das muss jetzt erstmal erledigt werden.“ Aber dann wollen sich Willi und Bianca auch Zeit nehmen, die Verwandten zu besuchen, die ebenfalls beim Brokser Markt dabei sind. Beide stammen aus Schausteller-Familien, bis heute sorgen Imbiss- und Süßwarenstände für ihr tägliches Brot. Gerade ist eine Tante angekommen. „Da müssen wir uns nachher unbedingt melden“, drängt Bianca auf ein Wiedersehen, während ihr Mann Willi bereits wieder auf gepackten Koffern sitzt, um der verwitweten Schwiegermutter bei einem Fest im Sauerland auszuhelfen.
„Selten ist so viel Verwandtschaft wie hier auf einem Platz“, erleben Dormeiers. Der Brokser Markt ist für diese Schausteller-Familie ein Heimspiel. „Im Jugendhaus, der Marktverwaltung, bin ich zur Schule gegangen und hatte Konfirmanden-Unterricht“, erinnert sich Albert Dormeier. Die Pause im Reiseplan nutzt er auch dafür, Zeit für die große Familie zu haben. „Meine Eltern sehe ich nur drei- oder viermal im Jahr.“ Dass Dormeiers die zwei Wochen vor dem Markt nicht auf dem Betriebsgelände in Bassum, sondern mitten auf Brokser Marktplatz verbringen, hat für Michaela Dormeier einen trifftigen Grund: „Man verpasst sonst was“, Verwandte, Kollegen, die man sonst nicht sieht. Oder für die wenig Zeit bleibt, wenn man zwischen dem einen und den anderen Markt gerade mal zwei Tage Zeit zum Standortwechsel hat.
„Ich kenne Bruchhausen von Kindesbeinen an“, freut sich Bianca Perl auf die Tage dort und muss bei der Erinnerung an ihre Großmutter schmunzeln. Sie habe sich in den vielen Marktstraßen immer verlaufen und daher gestöhnt, wenn Broksen auf dem Reiseplan stand.
„Ein Platz zum Wohlfühlen“ ist das Gelände für Familie Hansla. Broksen sei „wie nach Hause kommen“. Es gibt viele Kollegen und Verwandte, die sie nur hier treffen. Obwohl am großen Fahrgeschäft oder am Schreibtisch immer etwas zu tun sei, lassen sie die Tage hier entspannter angehen, nehmen sich Zeit für einen „gemütlichen Kaffee“ mit der Freundin oder für einen spontanen Grillabend im Kollegenkreis.
Von Anne-Katrin Schwarze